Die Geschichte von ThyssenKrupp geht Jahrzehnte zurück, doch die beste Zeit liegt hinter dem Stahlriesen. Die Beschäftigten bangen um ihre Jobs - und gehen trotz Corona auf die Straße.
Von Michael Heussen und Felix Mannheim, WDR
In 127 Bussen sind sie am Morgen von allen Stahlstandorten nach Düsseldorf gefahren. Direkt gegenüber von der Staatskanzlei, auf der anderen Rheinseite, hatten sie eine Bühne aufgebaut, um lautstark Staatshilfen für den angeschlagenen ThyssenKrupp-Konzern zu fordern. Mehr als 700 Millionen Euro Verlust sind in den ersten neun Monaten des Jahres aufgelaufen. Und die nächsten Monate verheißen keine Besserung.
Einen kleinen Erfolg konnten die 3000 Stahlarbeiter direkt verbuchen: Ministerpräsident Armin Laschet kam rüber zu ihnen und sagte zu, sich für ihre Arbeitsplätze einzusetzen. Den Einstieg des Staats wollte er nicht versprechen. Aber: "Der Staat darf sich nicht zurückziehen, der Staat muss helfen. Und mein Bekenntnis ist klar: Wir werden helfen und wir brauchen Stahl, denn Stahl ist systemrelevant für Deutschland und für NRW."
Der Name Liberty Steel macht vielen Angst
In Sichtweite der Demonstration finden in einem Hotel im Medienhafen andere Gespräche über die Zukunft der Stahlsparte statt: Der indische Milliardär Sanjeev Gupta, Vorstandsvorsitzender des britischen Konzerns Liberty Steel, hat angekündigt, ThyssenKrupp Steel zu übernehmen. Über den Kaufpreis ist nichts bekannt, er dürfte laut Insidern im unteren einstelligen Milliardenbereich liegen. Zunächst geht es den Briten darum, in die Bücher von ThyssenKrupp gucken zu dürfen, um in dieser sogenannten Due Diligence den Wert des Unternehmens herauszufinden.
Die Gewerkschaften reagieren verschreckt beim Namen Liberty Steel. Im Vereinigten Königreich ist der Konzern nicht unumstritten. Das ist auch dem IG Metall-Chef in Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler, zu Ohren gekommen: "Davor haben wir gewarnt, dass jetzt irgendwelche Leute kommen und meinen, sie können im Ein-Euro-Laden billig ThyssenKrupp Steel kaufen. Das geht nicht. Liberty hat kein industrielles Konzept. Da ist die Gefahr der Zerfledderung, da ist die Gefahr der Standortschließung extrem hoch, und das gilt es auch zu verhindern."
"Grüner" Stahl aus dem Ruhrgebiet?
Sanjeev Gupta versucht, diese Sorgen zu zerstreuen: "Wir haben immer zusammengearbeitet mit den verschiedenen Interessensgruppen, mit unseren Arbeitern, mit den Gewerkschaften, mit Politikern. Niemals gegen sie." Seine Vision: Er will im Herzen Europas, im traditionsreichen Ruhrgebiet, "grünen Stahl" produzieren - damit habe sein Konzern schon seit fünf Jahren Erfahrung. "Grün", das heißt, der Stahl wird nicht mit Kohle, sondern mit dem Energieträger Wasserstoff hergestellt. Und der Wasserstoff wiederum soll mit regenerativen Energien, also etwa Strom aus Windrädern, produziert werden.
Diese Transformation wird mindestens 50 Milliarden Euro kosten. Beim Wasserstoffgipfel, zu dem Ministerpräsident Laschet am Montag Vorstandschefs aus der Stahl- und Energieindustrie nach Düsseldorf eingeladen hatte, wurde ein Zeitrahmen dafür bis 2050 genannt. Gupta will schneller sein: Er will es mit ThyssenKrupp bis 2030 schaffen, falls er den Zuschlag für den Verkauf bekommt.
Laschet macht den Stahlarbeitern Mut
Die ThyssenKrupp-Belegschaft fährt mit gemischten Gefühlen zurück nach Duisburg. Zwar gibt es immer noch keine konkreten Zusagen aus der Politik - aber sie haben aus dem Mund ihres Ministerpräsidenten gehört, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. "Stahl gehört zur DNA von Nordrhein-Westfalen", hat Laschet ihnen zugerufen. "Wer auch immer im Ruhrgebiet beteiligt werden will, eins muss klar sein: Es muss einen Erhalt von Arbeitsplätzen geben. ThyssenKrupp ist nicht zu Billigbedingungen zu haben."
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